Geschichte des Abendgymnasiums


Aus den frühen Jahren des Abendgymnasiums
Das Ehemaligen-Treffen vom 10.10.1998

Nach fast 50 Jahren waren sie wieder einmal in die Schule gekommen, eine räumlich und personell, aber auch inhaltlich und vor allem mental völlig veränderte Schule. "Veteranen" der ersten Nachkriegsjahrgänge waren der Einladung der Schule gefolgt und erzählten bei Kaffee und Kuchen aus den Gründerjahren: einige weitere Vertreter späterer Jahrgänge unterstützten sie oder stellten fest, was zu ihrer Zeit schon anders (und das hieß meistens: besser) geworden war.

In den 60er Jahren, so erzählte Walter Gutzke, Abiturient des Jahrgangs 1961, herrschte ein wahrer Run auf das Abendgymnasium. Oft fanden sich bei Schuljahrsanfang etwa 50 Neue in einer einzigen Klasse zusammen. So viele Sitzplätze gab es dort gar nicht; man hockte auf den Fensterbrettern, doch niemand dachte daran, zusätzliche Stühle herbeizuschaffen. "Offenbar waren die Lehrer der Meinung", berichtete Gutzke, man müsse 'etwas tun' gegen die allzuvielen Schüler, man müsse sie regelrecht vertreiben!" Er zitiert eine Lehrkraft von damals, die angesichts der Schülermassen ausrief: "Wie soll ich mir nur die vielen Namen merken? Aber das will ich ja gar nicht, die verschwinden ohnehin wieder!"

Und sie gingen. Von den anfänglichen 50 seien nur zehn bis zum Abitur übriggeblieben. Das Große Latinum war damals obligatorisch, das habe eine stark 'selektive' Wirkung ausgeübt. Von den zehn Abiturienten seiner Klasse hätten sieben in Latein eine Fünf gehabt; er selbst allerdings nicht!

Wolfgang Trute, ein Abendschüler der ersten Stunde, berichtete von weiteren Erschwernissen auf dem Weg zum Abitur. Die meisten seines Jahrgangs (1951) seien, wie er selbst, aus handwerklichen Berufen gekommen. Damals herrschte noch die 48 Stunden Woche und Überstunden waren nicht selten. Viele konnten diese Belastung nicht durchhalten, denn sie sollten abends noch Hausaufgaben machen (!), vor allem in Mathematik, einem Fach, das dreimal wöchentlich unterrichtet wurde. Das hieß dann: Schule bis halb zehn, dann irgendwie nach Hause (angesichts der schlechten Verkehrsverbindungen konnten ohnehin nur Einwohner von Braunschweig zur Schule kommen) und schließlich noch Hausaufgaben. Und früh am nächsten Morgen wieder zur Arbeit. Meist wurde auch samstags gearbeitet, so dass vom Wochenende nicht viel übrig blieb. Nur die Stärksten 'überlebten'. übrigens gab es in diesem Jahrgang überhaupt keine weiblichen Teilnehmer, in anderen nur ganz wenige.

Aufschlussreich war auch, was über das Verhältnis von Lehrern und Schülern zueinander berichtet wurde. Der Abstand zwischen beiden war sehr groß. Es kam, vor allem in den ersten Jahren des Abendgymnasiums, kaum zu zwischenmenschlichen Kontakten. Wenn es auch hin und wieder verständnisvolle Lehrer gab, so waren doch die meisten "knochenhart", wie es einer der Teilnehmer des Gesprächs ausdrückte. Persönliche Probleme der Schüler wurde nicht zur Kenntnis genommen. Das Lernpensum wurde durchge-zogen, ohne Rücksicht auf die, die auf der Strecke blieben. "Es war brutal", resümierte Wolfgang Trute. In seiner Klasse erreichten von 50 nur sieben das Abitur.

Zehn Jahre später, als Heiko Oetker die Schule besuchte, waren die Verhältnisse bereits wesentlich ziviler. Zwar erlebte auch er noch den Anfangsschock mit den allzuvielen Schülern pro Klasse und unzureichender Sitzplatzversorgung. (Den gab es sogar noch in den siebziger Jahren, wie von jüngeren Teilnehmern berichtet wurde.) Aber die Hausaufgaben unter der Woche waren abgeschafft, sie durften nur noch über das Wochenende aufgegeben werden. Von 18 bis 22 Uhr war man in der Schule. Herr Oetker erinnerte sich, dass der Kontakt zu den Mitschülern recht eng war: "Wir haben gemeinsam gemogelt, wir haben uns auch in der Freizeit getroffen." Und er erzählte Unterhaltsames von einem trinkfreudigen Mitschüler.

In den siebziger Jahren war bereits das Bafög eingeführt, das vielen Schülern das Leben erleichterte. "Damals", erzählte Rosmarie Pawlowsky (Jahrgang 1975), "in den Zeiten der Vollbeschäftigung, konnte man auch leicht eine Halbtagsstelle finden". Die Frauenrate war auf etwa ein Drittel angestiegen. Die Verkehrsverhältnisse hatten sich verbessert; außerdem konnten sich viele Studierende ein Auto leisten, so dass in zunehmendem Maße auswärtige Studierende die Schule besuchten. Übrigens hätten damals fast alle nach dem Abitur studiert und später einen Platz im Berufsleben gefunden.

Doch es waren, wie ihr einstiger Klassenkamerad Rüdiger Buhlmann andeutete, keine völlig problemlosen Jahre: es war die Zeit der schärfsten Zulassungsbeschränkung an den Universitäten. Bei jeder Zensur fing man an zu rechnen: Reicht es noch für dieses oder jenes Studienfach? Trotzdem ließ sich die Klasse nicht durch den Konkurrenzdruck spalten (wie manche nach ihr), sondern stürzte sich mit vereinter Kraft in den Kampf gegen eine besonders schwierige Lehrkraft...

Ansonsten sei aber das Lehrer Schüler Verhältnis wesentlich entspannter gewesen als in den ganz frühen Jahrgängen. In den achtziger Jahren habe sogar eine Zeit lang ein gemeinsamer Lesekreis von Lehrern und Schülern existiert, erinnerte sich Angelika Förster, eine der 'Jüngsten' in der Runde.

Ein halbes Jahrhundert Schulgeschichte, gesehen aus der Perspektive der Studierenden, spiegelt sich in diesen Berichten. Aus der Sicht von heute hört es sich oft verblüffend, manchmal erheiternd an und in jedem Fall stimmte es nachdenklich. weil sich hinter diesen einzelnen Schicksalen so viele andere verbergen, von denen man heute nichts mehr weiß.

Inge Gerlach


Strassenbahnfahrt 1997

Einmal jährlich treffen sich Lehrer und Ehemalige, einige begleitet von Partnern oder Kindern, zu einem gemeinsamen Ausflug. Seit vielen Jahren gibt es den Verein der Ehemaligen, Freunde und Förderer des Abendgymnasiums. Aber nicht nur Jahrgangstreffen und Ausflüge stehen auf dem Programm, einige Ehemalige unterstützen die Schule weiterhin tatkräftig. Während des Mündlichen sorgen Ehemalige für das leibliche Wohl der Aspiranten vor und nach den Prüfungen, manchmal werden besondere Aktionen der Schule gesponsert. Der Kontakt soll noch intensiviert werden: im "treffpunkt agy" wird über besondere schulische Veranstaltungen informiert, die Dichterlesung an der Schule, die Projektpräsentation, die Theateraufführung, die Kunstausstellung, die Podiumsdiskussion zu einem aktuellen Thema, den Auftritt von Kabarettisten in der Aula und vieles mehr .

Zurück zum Inhaltsverzeichnis der Festschrift